Die Klimakrise ist eine Infrastrukturkrise

Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen haben gezeigt: Klimapolitik hat bei Wähler:innen an Relevanz verloren. Die Klimabewegung beklagt seit Langem, dass die Klimakrise neben anderen Krisen zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Statt Handlungsfähigkeit und Selbst­wirksamkeit spüren die meisten Menschen Ohnmacht. Politiker:innen übernehmen zu wenig Verantwortung oder streiten den Einfluss der Menschen auf das Klima immer noch ab.

Rechte Kräfte sind mit ihren Geschichten von „Klimawahn“ und „Bevormundung“ erfolgreich und drängen Progressive in den Rechtfertigungsmodus und ins konservative Framing: Narrative wie „Klimaschutz kostet uns Wohlstand” und „Klimaschutz ist ungerecht“ dominieren den Diskurs, werden von progressiver Seite mitgetragen und durch Formulierungen wie „Klimaschutz, aber sozial gerecht“ gestärkt.

Die aktuelle Klimakommunikation arbeitet gegen unser Gehirn

Dass es aktuelle Klimakommunikation so schwer hat, liegt unter anderem an den linguistischen und kognitiven Hürden, die der Klimabegriff mit sich bringt:

Wir Menschen haben keine physischen Erfahrungen mit Klima. Wir erleben Wetter und Natur­katastrophen. Wir wissen, wie Wolken aussehen, sich Regen anhört und sich Sonne auf der Haut anfühlt. Aber Klima können wir nicht sehen, hören oder spüren. Klimaveränderungen sind zu langsam, um sie bewusst wahrzunehmen. Wir kennen sie nur von Statistiken und aus den Nachrichten. Unsere neuronalen Verbindungen zum Konzept Klima sind deshalb schwächer ausgeprägt.

Zudem können unsere Gehirne nur schwer verstehen, wie sich unser Handeln auf die Klimakrise auswirkt. Direkte Handlungs-Wirkungs­zusammenhänge – z.B. wir drücken die Klinke und die Tür öffnet sich – kennen wir sehr gut und können sie leicht abrufen. Aber indirekte, systemische Handlungs-Wirkungs­zusammenhänge, wie sie bei der Klimakrise stattfinden, sind in unseren Gehirnen weniger präsent, da wir weniger Erfahrung und auch weniger Sprache dafür haben. Wir können systemische Zusammenhänge nur über ständige Wiederholung in der Kommunikation lernen, was die Klimakommunikation zum Beispiel mit Begriffen wie „Kipppunkt“, „Kettenreaktion“ und „Dominoeffekt“ versucht. Aber der Diskurs bleibt wissenschaftlich und technisch und damit auf der bewussten Ebene, die nur einen geringen Teil unseres Denkens und Handelns ausmacht.

Kognitive Hürden vermeiden statt ignorieren

Vereinfacht gesagt ist das Klima etwas abstraktes, das mit dem eigenen Leben wenig zu tun hat und auf das man keinen direkten Einfluss hat. Das macht es kognitiv extrem schwer, Klima bei Menschen relevant, anschlussfähig und überzeugend zu machen.

Worüber sollten Progressive stattdessen sprechen, um Menschen für Klimapolitik zu gewinnen?

  • Über Dinge, mit denen Menschen Berührungspunkte in der Welt haben und dadurch über stärkere neuronale Verbindungen verfügen, z.B. Verkehr, Wasser, Natur.
  • Über das, was die Klimakrise erst verursacht hat und das wir Menschen unmittelbar beeinflussen können: Unsere fossile Infrastruktur. Sie funktioniert aktuell nicht nur schlecht, was man z.B. am mangelnden und unpünktlichen ÖPNV, an Staus und teuren Energiepreisen sieht. Sie ist auch extrem ineffizient, verschwendet Rohstoffe, produziert Abgase und ihr Bau zerstört die Umwelt.

Infrastruktur modernisieren statt Klimakrise stoppen

„Unsere Infrastruktur zu modernisieren“ ist deshalb das bessere Narrativ als „Klimakrise stoppen“.

  • Das Narrativ macht Klimapolitik alltagsnah und aktuell.
    Menschen erleben Infrastruktur jeden Tag und von Kind an, egal ob sie morgens in den Bus steigen oder erst einmal Strom für die Kaffeemaschine brauchen. Menschen leiden darunter, wenn Infrastruktur nicht funktioniert. Debatten über schlechten ÖPNV und marode Schulen existieren bereits.
  • Das Narrativ macht die komplexe Klimakrise zum lösbaren Infrastrukturproblem.
    Es öffnet einen konstruktiven Lösungsbereich, in dem man über das spricht, was Politik direkt verändern kann. Progressive Parteien können das als Abgrenzungsargument nutzen, wenn konservative Politik die Infrastruktur kaputt spart.
  • Das Narrativ vermittelt eine positive Vision.
    Es zeigt auf, dass wir mit diesen Veränderungen besser leben können als aktuell: bequemer und pünktlicher ÖPNV, günstige Energie, Ladesäulen an jeder Ecke, weniger Abgase und Müll usw.

Bonus: Bei Infrastruktur lässt sich schlecht abstreiten, dass wir Menschen sie erschaffen haben. Wer würde schon behaupten, dass die Natur unsere Straßen, Leitungen und Fabriken gebaut hat? Das nimmt Klimawandelleugnern und -verharmlosern den Wind aus den Segeln.

Von „Politik fürs Klima“ zu „Politik für Menschen“

Klimapolitik ist Infrastrukturpolitik. Wenn Progressive Klimaschutz und Klimakrise in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation stellen, entsteht der Eindruck, sie machen Politik fürs Klima. Aber wenn sie darüber reden, was Menschen täglich erleben und Lösungen kommunizieren, die das Leben kurz- und langfristig verbessern, geht es wieder um Politik für Menschen.

Statt gegen die kognitiven Hürden des Klimabegriffs anzukämpfen, kann man sie sprachlich umgehen und mit dem Infrastruktur-Narrativ Mehrheiten für Klimaschutz gewinnen.

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