Machtverteilung und Machtkonzentration

Letzten Sonntag haben wir in einem Livestream von Critical Media eine Podiumsdiskussion zur Erbschaftsteuer aus Kommunikationssicht analysiert. Dort haben wir bereits die Begriffe „ökonomische Macht“ und „Machtkonzentration“ eingebracht.

In diesem Newsletter zeigen wir das Narrativ dahinter auf. Wir erklären außerdem, warum einige in der Podiumsdiskussion gefallenen Argumente nicht funktioniert haben und warum das Narrativ der Machtkonzentration überlegen ist.

Machtkonzentration: Ein Widerspruch zur Demokratie

Immer wenn wir aktuelle Probleme analysieren und uns fragen, warum es so schwer ist sie zu lösen, stoßen wir auf dieselbe Ursache: Wir leben in einer Gesellschaft, in der Macht stark konzentriert ist. Wenn nur wenige Menschen Macht haben, bedeutet das, dass viele Menschen wenig oder keine Macht haben. Das ist ein Widerspruch zur Demokratie, die wörtlich „Herrschaft des Volkes“ bedeutet. In einer Demokratie ist Macht verteilt, denn nur so kann die Herrschaft des Volkes funktionieren.

Warum ist Machtkonzentration ein Problem?

Menschen mit viel Macht können über Menschen mit wenig Macht herrschen. Das ist das Gegenteil einer Demokratie und entspricht den Adelsgesellschaften von früher. Das hat zur Folge, dass Menschen mit wenig Macht ihr Leben nicht so gestalten können, wie sie möchten und in ihren Entscheidungen eingeschränkt sind. Sie sind nicht frei. Je mehr die Mächtigen über die weniger Mächtigen herrschen, desto machtloser werden letztere. Machtkonzentration auf der einen Seite führt zu Machtlosigkeit auf der anderen Seite.

Ein paar Beispiele:

  • Ein Arbeitgeber verlagert seine Produktion ins Ausland und entlässt Mitarbeitende, um Kosten zu sparen. Die Belegschaft ist dagegen machtlos.
  • Ein Vermieter erhöht die Miete. Mietende sind dagegen machtlos.
  • Ein Lobbyverband setzt die Interessen der fossilen Industrie in der Regierung durch. Grünen-Wähler:innen sind dagegen machtlos.

Wie erhalten Menschen Macht?

Zum einen erhalten Menschen Macht, wenn sie bei demokratischen Wahlen temporär in ein Amt gewählt werden. Zum anderen erhalten Menschen Macht, wenn sie sich ein hohes Vermögen aufbauen. Menschen bauen Vermögen über drei Arten auf: Erben, Kapitalanlagen und Einkommen. Momentan sind alle Arten durch Besteuerung und rechtliche Ausnahmen politisch so gestaltet, dass sich immer mehr Vermögen – und damit Macht – bei wenigen Menschen ansammelt. Damit widerspricht die Ausgestaltung von Erbschaft-, Kapital- und Vermögensteuer unserer Demokratie.

Von Demokratiegefährdung zum Demokratiewiderspruch

Tilo Jung von Jung & Naiv hat die Podiumsdiskussion in eine entscheidende Richtung gelenkt, als er sagte, dass Ungleichheit die Demokratie gefährdet. Ungleichheit ist aber nicht nur eine Gefährdung für die Demokratie, sie ist schlicht nicht mit ihr vereinbar. Denn durch Erbschaft konzentriert sich ökonomische Macht bei wenigen Menschen. Und wenn ein Großteil des Volkes keine Macht hat und wenige Menschen alle Macht in sich vereinen, ist Macht nicht verteilt und wir haben keine Demokratie. Das Volk kann nicht länger herrschen.

Nur von Demokratiegefährdung zu sprechen führt jedoch nicht weiter, weil man eine Gefährdung erst wahrnehmen muss, bevor man etwas dagegen tut. Das nutzt Roland von der Stiftung Familienunternehmen während der Podiumsdiskussion aus, indem er sagt, dass er die Gefährdung nicht sieht. Das treffendere Argument wäre: Erbschaften, die zu Machtkonzentration führen, sind nicht mit unseren demokratischen Grundsätzen vereinbar. Sie verstoßen gegen die Werte der Demokratie und nehmen Menschen ihre Freiheitsrechte.

Warum die Ungleichheitsdebatte ins Leere führt

Es ist großartig und extrem wichtig, dass immer mehr Menschen über Ungleichheit aufklären. Aber „Ungleichheit“ als Begriff ist nicht ideal. Erstens ist Ungleichheit eine Voraussetzung im konservativen Wertesystem, da dieses auf einer hierarchischen Ordnung basiert. In einer Hierarchie ist Ungleichheit gerecht.

Zweitens wird Ungleichheit häufig im Kontext des Individuums verstanden. Niemand würde bestreiten, dass Menschen ungleich sind. Die Anerkennung von individuellen Stärken und Fähigkeiten gilt als Errungenschaft. Gleichheit erinnert vor diesem Hintergrund an Konformität statt an gleiche Rechte für alle.

Die Folge: Ungleichheit wird von Konservativen nicht als Problem anerkannt, wie die Podiumsdiskussion sehr gut zeigt. Und auch für Progressive ist Ungleichheit schwer einzustufen, da sie die Individualität und damit verbundenen Entfaltungsrechte von Menschen schützen wollen.

Der bessere Begriff ist deshalb die Machtkonzentration. Erst mit Machtkonzentration lassen sich die oben angerissenen Geschichten von Machtmissbrauch, Machtentzug und Machtlosigkeit erzählen. Erst dadurch kommen progressive Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung zum Ausdruck. Erst dadurch verstehen Menschen, warum sie ein Problem damit haben sollten, wenn Menschen zu viel Macht bekommen. Die individuelle Betroffenheit wird verständlich.

Die Spaltung der Gesellschaft

Der Zusammenhang zwischen Machtkonzentration und Machtlosigkeit ist auch das, was wir unter „Spaltung der Gesellschaft“ verstehen. Nicht mangelnde Bildung, sondern Machtlosigkeit ist es, was Menschen zu rechten Parteien treibt. Diese stellen erneut eine Gefährdung für die Demokratie dar. Wenn wir nur über „Spaltung der Gesellschaft“ sprechen, bleibt der Zusammenhang zwischen Machtkonzentration und Machtlosigkeit unausgesprochen.

Abgesehen davon können sich die Wenigsten eine „Spaltung der Gesellschaft“ bildlich vorstellen und verstehen, was das für das eigene Leben bedeutet. Die Metapher bleibt eine abstrakte und leere Worthülse. Sie wird zwar wiederholt und ist uns dadurch geläufig, aber sie ruft keine Assoziationen mit Werten und persönlicher Betroffenheit hervor. Sie erfüllt nicht den Zweck einer Metapher.

Das progressive Gegennarrativ: Die Gestaltungsmacht

Nachdem Progressive das Problem der Machtkonzentration konkretisiert und verständlich gemacht haben, sollten sie eine Alternative anbieten. Das passiert bereits in der Podiumsdiskussion: Martyna von Ungleichheit.info erklärt, dass die Politik die Erbschaftsteuer gestalten kann und wir als Gesellschaft ihr nicht machtlos ausgeliefert sind.

Es handelt sich hier um ein Narrativ, das wir „Gestaltungsnarrativ“ nennen. Es lässt sich in sehr vielen Diskursen effektiv einsetzen und stärkt das progressive Ideal einer gestaltenden Gesellschaft. Aus „wir sind machtlos“ wird „wir sind wirksam.“

Die Erzählung lautet wie folgt:

Den Status Quo gibt es, weil es wenige Menschen so wollen. Aber wir haben die Macht, den Status Quo zu verändern. Wir können die Welt so gestalten, dass wir alle davon profitieren.

Was wir mitnehmen

Machtkonzentration ist die Ursache zahlreicher Probleme und wird dennoch in politischen Debatten nicht ausgesprochen. Sie führt zu Machtlosigkeit der meisten Menschen, wodurch sich Machtkonzentration weiter festigen kann.

Konservative werden Machtkonzentration niemals ansprechen, da sie gewollt und konform mit den eigenen Werten ist. Wir Progressiven müssen deshalb Machtkonzentration zum Kern unserer Argumentation machen, wenn wir für eine höhere Erbschaftssteuer und ähnliche Maßnahmen streiten.

Hier ist eine kleine Checkliste für zukünftige Debatten:

  • Wertekonflikt zwischen Machtkonzentration und Demokratie (= verteilte Macht) betonen: Machtkonzentration ist nicht mit demokratischen Werten vereinbar.
  • Veranschaulichen, was Machtlosigkeit für Menschen im täglichen Leben bedeutet: der Entzug von Freiheit und Selbstbestimmung (Beispiele: Jobverlust, Mieterhöhung, wirkungslose Wahlen)
  • Progressive Alternative aufzeigen: Aus „wir sind machtlos“ wird „wir sind wirksam“. Menschen haben sehr viel Macht bekommen, weil unsere Gesetze das begünstigt haben. Wir können unsere Gesetze so ändern, dass diese Macht wieder zurück auf alle verteilt wird.

Framing-Newsletter abonnieren

Erhalte jeden zweiten Montag einen progressiven Rückblick auf die Sprache im politischen Diskurs: